Europäisches Steuerrecht

Europäisches Steuerrecht

Die Grundidee der Europäischen Union ist die Bildung eines europäischen Staatenverbundes zur Herstellung des EU-Binnenmarkts. Das Europarecht wirkt auch auf die nationalen Steuergesetzgebungen ein. Europäisches Steuerrecht bezeichnet also die Schnittmenge zwischen Europarecht und Steuerrecht. Jedoch bleibt die Steuerhoheit und Kompetenz trotz zunehmender europäischer Integration weitgehend bei den einzelnen Mitgliedstaaten. Die Europäische Union hat nur begrenzte Kompetenzen und ihre steuerrechtlichen Befugnisse dienen lediglich als Unterstützung. Diese Kompetenzen können überdies nur einstimmig, das heißt unter Zustimmung aller Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen Union ausgeübt werden können.

Europäische Richtlinien

Europäisches Steuerrecht wirkt sich auf alle nationalen Rechtsordnungen aus, welche Steuern zum Gegenstand haben oder mit Steuern in Zusammenhang stehen. Der Einfluss entsteht durch die Vorgabe von Richtlinien und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

Die Vorgabe von Richtlinien hat das Ziel, das Steuerrecht auf nationaler Ebene weiter zu harmonisieren und insgesamt einander anzupassen. Die Grundidee ist eine steuerliche Gleichbehandlung von EU-Bürgern in den verschiedenen Mitgliedsstaaten.

Die EU regelt daher im Bereich der direkten Steuern

  • die Richtlinien zur Arbeitnehmerfreizügigkeit
  • zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit
  • zur Freiheit des Kapitalverkehrs.

Die Harmonisierung des Europäischen Steuerrechts soll sich auch auf die indirekten Steuern auswirken. Für das Umsatzsteuerrecht gilt europaweit die 6. Richtlinie zum gemeinsamen Mehrwertsteuersystem. Damit ist das Steuerverfahren EU-weit einander angeglichen. Es gibt nur noch Abweichungen, welche den Steuersatz und den Vorsteuerabzug betreffen.

Grundzüge des EU Steuerrechts

Der wichtigste Grundsatz lautet, dass ein Europäisches Steuerrecht die Steuerhoheit weitgehend den einzelnen Mitgliedstaaten überlässt. Die Union kann also nicht einfach europaweit eine neue Steuer zur Finanzierung ihrer Ausgaben einführen. Somit orientieren sich die mitgliedstaatlichen Steuerrechtsordnungen zwar an den EU-Richtlinien, können aber weiterhin in diesem Rahmen eigene nationale Gesetze erlassen und anwenden. Die Europäische Union ist jedoch befugt, die indirekten Steuern der Mitgliedstaaten zu harmonisieren, falls Unterschiede der Steuersysteme den Binnenmarkt hemmen.

Mehrwertsteuer

Besonders umfangreich ist die EU-weite Harmonisierung im Bereich der Mehrwertsteuer. Hier gilt beispielsweise das Bestimmungslandprinzip, wobei die Steuer bei einer grenzüberschreitenden Lieferung oder Leistung nur im Zielland anfällt. Ein Unternehmer, welcher im Ursprungsland Steuern gezahlt hat, bekommt diese im Grenzausgleichsverfahren wieder zurück. Dies soll eine Doppelbesteuerung vermeiden. Zugleich kommt es zu einer Wettbewerbsneutralität, da eingeführte und im Zielland hergestellte Waren oder Dienstleistungen demselben Steuersatz unterliegen.

Weitere Harmonisierungen der Union betreffen die Verbrauchssteuern für Mineralöle, Alkohol und Tabak.

Doppelbesteuerung

In gewissem Sinn handelt es sich beim Europäischen Steuerrecht um internationales Steuerrecht durch die grenzüberschreitenden Sachverhalte. Jedoch hat die EU nur bedingt mit der Lösung des Problems Doppelbesteuerung im internationalen Steuerrecht zu tun. Es gibt zwischenstaatliche Abkommen der einzelnen Mitgliedstaaten, welche für Lösungen dieses Problems außerhalb der Europäischen Union sorgen. Durch die Harmonisierungsregelungen der Union im Bereich der indirekten Steuern können jedoch Doppelbesteuerungen vermieden werden.

Bei den direkten Steuern gibt es europarechtliche Harmonisierung bei Einzelfragen der Doppelbesteuerung von Unternehmen. Hier soll beispielsweise die Mutter-Tochter-Richtlinie eine Doppelbesteuerung vermeiden. Diese könnte eintreten, wenn Mutter- und Tochtergesellschaft eines Unternehmens in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässig sind.

Primärrecht und Sekundärrecht

Im steuerrelevanten Europarecht unterscheidet man Primär- und Sekundärrecht.

  • Primärrecht beruft sich auf den Vertrag über die Europäische Union und den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Hier erlaubt die mitgliedstaatliche Steuerhoheit nur wenige Normierungen. Jedoch sind die Mitgliedstaaten auch im Steuerrecht an die allgemeinen Vorschriften des Unionsrechts gebunden, besonders die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes.
  • Sekundärrecht beruft sich auf die von den Organen der Union erlassenen Rechtsakte. Dazu gehören Richtlinien und Verordnungen, vereinzelt auch Durchführungsverordnungen.

Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot

Die wichtigsten Maßnahmen im Bereich Europäisches Steuerrecht betreffen die Grundfreiheiten. Jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ist verboten. Das Diskriminierungsverbot betrifft jedoch nicht nur Regelungen, die unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, sondern fallbezogen auch jene des Wohnsitzes oder Unternehmenssitzes.

Das in den Grundfreiheiten enthaltene Beschränkungsverbot verbietet grundsätzlich alle Regelungen, welche die Ausübung einer Grundfreiheit behindern oder weniger attraktiv machen können. Da das Steuerrecht aber grundsätzlich die Ausübung einer Grundfreiheit weniger attraktiv machen kann, gibt es hier eine fallbezogene Entscheidungspraxis.